Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hatte noch fast jede Stadt ihre eigene Ortszeit. Die Sonne war deren Maß und bestimmte durch ihre Stellung im Zenit die Mittagsstunde.


Jungferfahrt der 1. öffentlichen Eisenbahn zwischen Stockton und Darlington in England nähe London im Jahre 1825.
Mit der Erfindung der Eisenbahn und dem dadurch zunehmenden Reiseverkehr wurde jedoch eine Vereinheitlichung der Ortszeiten notwendig. Nur so ließ sich ein großflächiger Eisenbahnverkehr reibungs- und gefahrlos organisieren. Bevor jedoch die Ortszeiten vereinheitlicht werden konnten, mussten sich die Staaten auf ein weltweit anerkanntes Koordinatensystem für den gesamten Globus einigen. Dies geschah im Jahr 1884 auf der Internationalen Meridiankonferenz in Washington mit der Festlegung des Nullmeridians in die Meridianebene, die durch die Londoner Sternwarte Greenwich verläuft.


Die Landkarte von 1894 zeigt, dass das damalige Deutsche Reich fast nahtlos in die ideale Zeitzone 15° Ost ±7,5° passte.
Dieser Beschluss wurde neun Jahre später, im Jahr 1893, im Deutschen Reich umgesetzt und gesetzlich verankert. Die sogenannte Mitteleuropäische Zeit (MEZ) war nun in ganz Deutschland gültig. Doch auch die vereinheitlichte Zeit führte immer noch häufig zu Verwechslungen von Vormittag und Nachmittag bei Abfahrts- und Ankunftszeiten. Infolgedessen führte im Jahr 1927 die Deutsche Reichsbahn die 24-Stunden-Zeit ein. Statt ein Uhr nachmittags hieß es in den Fahrplänen nun dreizehn Uhr usw.


Austausch der alten Zifferblätter der elektrischen Uhren auf den Berliner Bahnhöfen durch die neuen Zifferblätter mit dem doppelten Zahlenkranz um 1927.
Um den Reisenden die veränderten Zeitangaben besser vermitteln zu können, wurden vielerorts die Bahnhofsuhren mit neuen Zifferblättern ausgerüstet, auf denen die Stunden in zwei Kreisen eingezeichnet waren. Bei manchen damals bereits bestehenden Bahnhofsuhren wurde nachträglich ein zweiter Ziffernring mit den Zahlen 13 bis 24 aufgemalt. So sollte die neue Zeitzählung zur Gewohnheit werden. Diese «Zeiterscheinung» wurde schließlich zum Modetrend, und die Zifferblätter zeitgenössischer Uhren wiesen immer öfter einen zweiten, roten Ziffernring auf.


Kinderbuch der 1930er Jahre zum Erlernen der Uhrzeit mit dem zweiten neuen Ziffernring.
Die Einführung der 24-Stunden-Zeit führte zu neuen Zifferblatt-Gestaltungen. Es gab diverse Varianten für die Anordnung der 24 Zahlen auf zwei konzentrischen Kreisen. Die Vormittagszeiten wurden von denen des Nachmittags zum Beispiel dadurch abgegrenzt, dass sie in unterschiedlichen Farben auf das Zifferblatt aufgetragen wurden.


Zweischleifenuhr Modell Solon auf einem zeitgenössischen Foto um 1930.
Dass es auch anders geht, zeigt die Zweischleifenuhr- Erfindung von Wolo Wundt und Paul Schatz um 1928. Bei ihr sind die zweimal zwölf Stunden auf einer doppelten Schleife angeordnet. Eine geniale Mechanik sorgt dafür, dass der Stundenzeiger ohne Sprung zwischen äußerer und innerer Schleife wechselt. Die Erfindung der Zweischleifenuhr kam gerade zur rechten Zeit, als die jahrhundertealte Tradition, die Zeit in zweimal zwölf Stunden zu messen, von den Erfordernissen des modernen Lebens abgelöst wurde, die eine 24-Stunden-Zeitmessung verlangen.




Zweischleifenuhr Modell Libra, Baujahr um 1930. Uhrwerk der Zweischleifennuhr


Figürliche Zweischleifenuhr um 1935 von Paul Schatz (1898 - 1979)



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